Rückblick: Preisträger der  2012:
BBA-Verleihung vom Freitag 13. April 2012 in Bielefeld
 

Die »Oscars für Überwachung« (Le Monde) werden seit 1998 in verschiedenen Ländern und seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Kriterium sind insbesondere konkrete Datenschutzverstöße oder die Anwendung datenschutzfeindlicher Praktiken im jeweiligen professionellen Umfeld.

Der Name stammt aus George Orwells Buch "1984", das bereits Ende der vierziger Jahre die Vision einer totalitären Überwachungsgesellschaft beschreibt. Die Preisskulptur, eine von einer Glasscheibe durchtrennte und mit Bleiband gefesselte Figur, wurde von Peter Sommer entworfen. Sie symbolisiert eine Passage aus Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“.

Veranstaltet werden die BigBrotherAwards vom FoeBuD e.V. Beteiligt sind außerdem der Chaos Computer Club, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, FIfF, Fitug, die Humani­stische Union und die Internationale Liga für Menschenrechte.
Die Jury und Laudatoren 2012: 

- Rena Tangens vom FoeBuD e.V., und padeluun vom FoeBuD e.V.,

- Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte (LIGA),

- RA Sönke Hilbrans von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V.,

- Werner Hülsmann vom FifF e.V., (Laudatio: Frans Valenta)

- Frank Rosengart vom Chaos Computer Club (CCC e.V.),

- Prof. Dr. Peter Wedde

Hintergründe, Laudationes etc. im Internet unter www.bigbrotherawards.de

Die Preisträger der BigBrotherAwards 2012 (Kurzfassungen)

Politik: Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich / Gemeinsame Abwehrzentren (Cyber- und gegen Rechtsextremismus) sowie zentrale Neonazi-Verbunddatei von Polizei und Geheimdiensten

Laudator: Dr. Rolf Gössner, Internationale Liga für Menschenrechte / ILMR

Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie „Politik“ geht an Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) für die Einrichtung eines Cyber-Abwehrzentrums ohne Legitimation durch den Bundestag, für die Einrichtung eines Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR), ebenfalls am Parlament vorbei, sowie für die Entscheidung, alsbald eine gemeinsame zentrale Verbunddatei „gewaltbezogener Rechtsextremismus“ zu errichten. Mit der geplanten Verbunddatei und den neuen Abwehrzentren werden Polizei, Geheimdienste und teilweise das Militär auf problematische Weise vernetzt und verzahnt – unter Missachtung des historisch begründeten Verfassungsgebotes, nach dem diese Sicherheitsbehörden strikt voneinander getrennt sein und grundsätzlich getrennt arbeiten müssen.

Behörden und Verwaltung: Sächsischer Innenminister / Funkzellenauswertung

Laudator: Sönke Hilbrans, Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD)

Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie Behörden und Verwaltung geht an den Sächsischen Staatsminister des Inneren, Herrn Markus Ulbig, für Funkzellenabfragen im Raum Dresden. Nachdem am 19. Februar 2011 in Dresden 20.000 Menschen gegen einen Nazi-Aufmarsch. demonstriert hatten, forderten das Landeskriminalamt und die Polizei in Dresden die Telekommunikationsverbindungsdaten für 28 Funkzellen an, die Masse davon aus dem örtlichen Bereich des Versammlungsgeschehens. Bald tauchten die erhobenen Daten in Strafverfahren auf, für die man sicher keine Funkzellenabfrage genehmigt bekommen hätte. Der Preisträger verteidigt den ausgelösten Daten-Tsunami von über einer Millionen Datensätze zu inzwischen mehr als 55.000 identifizierten Anschlussinhaberinnen und -inhabern bis heute als rechtmäßig.

Verbraucherschutz: Blizzard Entertainment
Laudator: Frans Valenta, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschafltiche Verantwortung (FifF)

Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie „Verbraucherschutz“ geht an die Firma Blizzard Entertainment für diverse Datenschutzverletzungen bei ihren Online-Spielen (z.B. World of Warcraft). Aus der protokollierten Spieldauer, erhobenen Rechnerdaten, dem Abgleich von Freundeslisten und dem Spielerverhalten (z.B. wie hat jemand eine bestimmte Aufgabe gelöst) lassen sich Persönlichkeitsprofile und Charakterstudien erstellen. Für eine entsprechende Auswertung wurde bereits 2007 ein US-Patent eingetragen – auf einen wissenschaftlichen Mitarbeiter von Google. Stück für Stück werden die Methoden zur Datenklauberei in den endlosen Nutzungsbedingungen immer weiter ausgeweitet. Viele Informationen über die Spieler und Spiel-Charaktere sind im Netz von jedermann öffentlich einsehbar. Immerhin: Der Versuch, den Zwang zu öffentlichen realen Klarnamen einzuführen, wurde durch Spielerproteste verhindert – noch.

Arbeitswelt: Bofrost für Ausforschung des Betriebsratscomputers
Laudator: Prof. Dr. Peter Wedde, Europäische Akademie der Arbeit (Uni Frankfurt)

Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie Arbeitswelt geht an die Firma Bofrost für die rechtswidrige Ausforschung von Daten auf einem Betriebsratscomputer. Bofrost hat Dateiinformation eines dort gefundenen Schreibens verwendet, um einem Betriebsratsmitglied zu kündigen. Das Arbeitsgericht hat die Unzulässigkeit dieses Vorgehens bestätigt. Auf einem Computer eines anderen Betriebsrats wurde ohne Zustimmung des Betriebsrats die Fernsteuersoftware Ultra VNC installiert und erst nach gerichtlichem Vergleich wurde zugesichert, dies in Zukunft zu unterlassen

Technik: Gamma International für Spionagesoftware FinFisher
Laudator: Frank Rosengart, Chaos Computer Club

Den BigBrotherAward 2012 in der Kategorie Technik erhält die deutsche Niederlassung der Gamma Group in München, vertreten durch den Prokuristen Stephan Oelkers, für ihre Software „FinFisher“. Gamma wirbt damit, dass Sicherheitslücken in iTunes und Skype genutzt werden, um z.B. per gefälschten Updates Spionagesoftware auf andere Rechner einzuschleusen und über ihre Software „FinSpy Mobile“ auch auf Blackberrys zugreifen zu können. Gamma-Software wird an Geheimdienste und staatliche Institutionen im In- und Ausland verkauft. Gefunden wurde sie zum Beispiel bei der Erstürmung der Kairoer Zentrale des ägyptischen Geheimdienstes durch Bürgerrechtler.

Wirtschaft: Brita GmbH für Schoolwater - Laudator: padeluun, FoeBuD e.V.

Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie Wirtschaft geht an die Firma Brita GmbH für ihre kostenpflichtigen Wasserspender in Schulen, die unter dem Namen „Schoolwater“ vermarktet werden. Diese Geräte geben nur dann Wasser ab, wenn ein Kind es mit einer mit einem RFID-Funkchip verwanzten Flasche abzapft. Auf die Gefahren von Funkchips, die man berührungslos auslesen kann, ohne dass der/die Träger/in das bemerkt, haben wir in den vergangenen Jahren wiederholt hingewiesen. Dieses Wasserflaschen-System zeigt in besonders eklatanter Weise den Versuch, Übertechnisierung, Überwachung und Bevormundung schon im frühen Kindesalter zu etablieren. Außerdem kritisieren wir mit unserer Preisvergabe, dass damit Leitungswasser zu einem teuren, exklusiven Lebensmittel gemacht wird, anstatt es Kindern in der Schule als allgemeine Gesundheitsvorsorge unbegrenzt zur Verfügung zu stellen.

Kommunikation: Die Cloud - Laudatorin: Rena Tangens, FoeBuD e.V.

Der BigBrotherAward in der Kategorie Kommunikation geht an die Cloud als Trend, Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu entziehen. Wer Adressbücher und Fotos – und damit die Daten anderer Menschen – oder Archive, Vertriebsinfos und Firmeninterna unverschlüsselt in den undurchsichtigen Nebel der Cloud verlagert, handelt mindestens fahrlässig. Fast alle Cloud-Anbieter sind amerikanische Firmen – und die sind laut Foreign Intelligence Surveillance Act verpflichtet, US-Behörden Zugriff auf alle Daten in der Cloud zu geben, auch wenn sich die Rechnerparks auf europäischem Boden befinden. Das 2008 vom Bundesverfassungsgericht postulierte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wird damit eklatant verletzt.